Artikel: Megatrend Kickboxen...

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Energie ohne Ende. Straffe Muskeln. Ein tolles Balancegefühl. Davon träumen Sie schon lange? Dann ist der neue In-Sport genau das Richtige für Sie. Unser Autor Philipp Oehmke hat in New Yorker Fitnessstudios recherchiert und Powerfrauen auf die Fäuste geschaut. Dazu: jede Menge Infos, wo Sie bei uns schon draufhauen können. Und ein paar Übungen für den ersten Einstiegs-Kick.

Der Trend versteckt sich gut, hinter vielen Klingelknöpfen, von denen nur einer der richtige ist. „3B“, das muss man wissen, sonst öffnet sich die Tür nicht. Außen, auf der 24. Straße in Manhattan, gleich am Broadway, weist kein Schild den Weg. Wer hier herkommt, weiß, warum. Klingeln bei „3B“, die Gegensprechanlage knackt, ja, man wolle zum „ähm, Kickboxen“. Die Tür summt, vor dem Fahrstuhl hängt eine Kamera, und dann oben, im dritten Stock, öffnet sich eine Tür. Dahinter wird er praktiziert, der größte, heftigste Fitnesstrend der letzten zehn Jahre in Amerika, wie die Zeitungen, das Fernsehen und die Experten sagen.

Fitness-Kickboxen oder Cardio-Kickboxen oder, am schönsten, Taebo nennen es die Kampfschulen. Steve Ventura, schwarzer Gürtel im Kung Fu, Taekwondo und Hapkido, ehemaliger New Yorker Kickboxmeister, mit rasierten Brusthaaren am T-Shirt-Ausschnitt, führt so eine Schule. Die heißt New York Kung Fu & Kickboxing, und in diesen Tagen hat Ventura so viele Schüler, dass er fast durchgehend Unterricht gibt und zwischendurch Espresso aus Pappbechern trinken muss, um wach zu bleiben.

Allein heute Nachmittag, zwischen fünf und sechs, hat er vier Neuanmeldungen, alles Frauen zwischen 20 und 30, davon eine Zahnärztin, eine Public-Relation-Managerin und zwei Studentinnen. Vor fünf Jahren fing er an, und mit ihm viele andere. Der Berühmteste: Billy Blanks, ein Kämpfer aus Kalifornien, der mit seinem Taebo und einem millionenfach verkauften Video Millionär wurde.

» KRAFTSCHUB FÜR DEN KÖRPER

Die Wurzeln: KICKBOX-FITNESS kommt aus dem Kampfsport und ist ein powervolles Ganzkörper-Workout für jeden. Entwickelt wurde es von dem US-Star-Fighter Joe Lewis, dem Schüler der Karate-Legende Bruce Lee. Er verpackte bewährte Kickbox-Techniken in ein dynamisches Gruppenerlebnis mit heißen Techno-Beats.

Das Warm-up nimmt ein Drittel des Trainings ein: Dabei werden Bewegungen, Schläge und Tritte eingeübt, die sich allmählich zu fließenden Kombinationen ergänzen und den Körper in Fahrt bringen. Dann geht es an den 100 Kilo schweren, frei stehenden Sack, DEN BAG. Passend zur Musik gibt's Kommandos für die Kicks, Punches und Moves. Sinnvoll: Da der Trainer kein Vorturner ist, kann er individuelle Technikfehler korrigieren.

Die Wirkung: Eine Stunde KICKBOX-FITNESS verheizt bis zu 800 Kalorien – das sind rund 200 mehr als beim Joggen. Das Training ist also ein echter Fatburner. Und: Alle Muskelgruppen werden gefordert. Zum Treten kommt das Schlagen hinzu, Intervall- wechselt mit Ausdauertraining. Weiterer Vorteil: Man baut körperliche und mentale Grundlagen für andere Sportarten auf.

Der Widerstand ist entscheidend. Da bei KICKBOX-FITNESS Tritte und Schläge AUF DEN BAG treffen, ist die Muskelspannung höher als z. B. bei Taebo, wo nur in die Luft geboxt wird.

» MEGA-TREND KICKBOXEN

Doch was brachte die Kickbox-Welle ins Rollen? Ventura sagt, seine Frau, heute ebenfalls Fitness-Kickbox-Trainerin und von kleiner, untersetzter Gestalt wie Ventura selbst, hätte ihn darauf gebracht. Damals, als sie Ventura und seine Kumpels, alles harte Kämpfer, trainieren sah.

„Kann man diesen Sport nicht, vor allem für Frauen, ohne echtes Kicken und Boxen anbieten?“, fragte sie ihren Mann. Der verstand nicht. Doch sie erklärte, es ginge ihr um die Gymnastik – eine Stunde lang ununterbrochen in Bewegung, gezielter Muskelaufbau, dehnen und spielerisch koordinierte Schläge und Tritte in die Luft. „Also“, sagt Ventura, „haben wir die Halle hier mal ordentlich sauber gemacht, den Gestank rausgepustet und eine Klimaanlage gekauft, und die Frauen kamen, erst eine, dann zehn, dann Hunderte.“

Tim Rochford, vierter schwarzer Gürtel in Karate, ehemals professioneller Kickboxer und heute für das American Council on Exercise so was wie ein Aufseher über Kickbox-Schulen, sagt, auf Venturas Art und Weise hätten viele der Studios schnelles Geld gemacht. Gut daran ist, es hat Millionen Amerikaner motiviert, den Fernseher zu verlassen. Schlecht ist, dieser Sport ist gesundheitsgefährdend, wenn der Trainer nicht ausreichend qualifiziert und die Technik falsch ist.

Heute abend, hier in Manhattan bei Steve Ventura, sind dreizehn Schüler da für den Kurs von sieben bis acht, zwei Männer, elf Frauen. Die erste halbe Stunde ist wenig spektakulär, eine Gymnastik, die irrsinnig kraftraubend aussieht, mit angedeuteten Schlägen und Tritten in die Luft, getanzt und koordiniert zu House Music.

Das könnte auch ein Fitnesscenter sein, denkt man, und enttäuscht will man sich abwenden, doch dann, für die zweite halbe Stunde, rollen die Schüler auf Podesten stehende, wurstartige Sandsäcke in den Raum. Die Musik verstummt nun. Draußen wird es dunkel, und im Fenster im Haus nebenan macht ein Fotograf Modefotos. Ventura skandiert: „One, two, Jab, Sidekick“, und kündigt damit eine Kombination aus Schlag mit der Führhand und einem anschließenden gedrehten Tritt aus der Hüfte an. Rot lackierte Fußnägel klatschen auf die ebenfalls roten Säcke, doch die Säcke, die schweren, sind unbarmherzig, sie geben nicht nach, und manche Frauen rudern mit Armen, ihre Balance suchend, fluchend.

» BEFREIUNGSSCHLAG FÜR DIE PSYCHE

Gegen Stress und Aggressionen ist KICKBOX-FITNESS top. Wenn der Alltag in den Sandsack gehämmert wird – idealerweise 3-mal die Woche –, steigen Willenskraft und Durchhaltevermögen.

Gut zu wissen: Das Bag-Training hilft ihrer Fitnessauf die Sprünge, nicht ihrer Selbstverteidigungsstärke. Tritte aus den Rundum-Workout eignen sich also nicht unbedingt, um sich vor handfesten Belästigungen zu schützen. Denn dazu müssten situationsabhängige, reflexartige Reaktionen geschult werden.

Viel Selbstvertrauen baut Kampfsport-Fitness trotz alledem auf. Frauen lernen dabei, „wie sich das überhaupt anfühlt, wenn ich mal fest gegen einen Widerstand haue“, meint die Schweizer Kampfsportexpertin Kathi Fleig. Und: Das Zutreten im Studio trainiert das sichere Auftreten draußen. Oft kommt es daher erst gar nicht so weit, dass frau sich rausboxen muss.

» MEGA-TREND KICKBOXEN

Alison Moore, 25, Programmiererin in einer Computerfirma, hat so auch angefangen, sagt sie. Sie hat eine Blume über die rechte Brust tätowiert, und der Blick ihrer hellblauen Augen signalisiert jene Ernsthaftigkeit, die sie dem Kickboxen widmet. Sie kommt fast jeden Tag. Wenn sie gegen die Säcke tritt, knallt es, sie übt Kombinationen mit Partnern, und oft kämpft sie auch im Ring gegen Männer.

Sie will draufhauen, sich befreien von Computerprogrammen, die ihren Kopf belasten, sagt sie, sie will sich selbst verteidigen können, und vor allem, sie will einen Inhalt, ein Ziel beim Workout. „Im Fitnesscenter ist alles, was dich interessiert, dein Arsch“, sagt sie. „Hier ist es deine Tritttechnik, und dein Arsch macht sich von selbst.“ Früher hätte Alisons Freund gesagt, da gehst du mir nicht hin, heute ist er stolz darauf, dass seine Freundin so ist wie viele sexy Frauen auch, die kämpfen können: die Bond Girls, „Charlie's Angels“ oder die schöne Michelle Rodriguez in „Girlfight“.

Kickboxen ist ein rabiater Sport, eigentlich eine westliche Brachialversion asiatischer Kampfkunst. Seitentritt, Boxen, Seitentritt, Boxen, so geht es, wenig Artistik, keine Schnörkel. Johnny „Superfoot“ Davis war zweimaliger Weltmeister darin, und heute arbeitet er bei einer Krankenversicherung in Kalifornien. Den kann man einfach anrufen da, und das ist so, als würde ein Fußballfan eine Nummer wählen und Lothar Matthäus dran haben. „Herr Davis, wie stehen Sie als echter Kickboxer dazu, dass eine Lightversion davon zum Breiten- und Trendsport avancierte“? Davis ist auch Marketingdirektor der International Kickbox Federation, und darum sagt er, dass er der Fitness-Version dankbar ist für Leute wie Alison, „die hungrig werden, mehr wollen und dann zum richtigen Kickboxen kommen“. Aber warum gerade Kickboxen? Weil es simpel ist, sagt Davis, der Weltmeister. „Simple Technik. Nicht gerade Jackie Chan.“

Frauen sind die ausgebuffteren Kämpfer. Ja wirklich, die besten Kämpfe habe er zwischen Frauen gesehen, sagt Davis. In Venturas Boxhalle trainiert Alison immer noch und ist schon eine halbe Stunde zu spät. Draußen, auf der Straße neben den Klingelknöpfen ohne Bezeichnung, wartet ihr Freund. Raufkommen, sie abholen und umarmen darf er nicht. Hier ist ihre Welt, hier kämpft sie, sagt sie. Und während sie sich fertig macht, erzählt Ventura von dem einen Kämpfer, der nicht mehr kommt. Den hat eine Kämpferin im Sparring mitten ins Gesicht getroffen. Sein Kopf schnappte auf den Hals zurück, er guckte, sie guckte, keiner sagte ein Wort. Dann drehte der Mann sich um, nahm seine Tasche, zog sich nicht um und ging zur Tür. Er kam nie wieder.

» HIER HOLEN SIE SICH DEN KICK:

BoxAerobic, Bodycombat, Taiwado ... Fitnessprogramme aus dem Kampfsport boomen. Doch ohne fundierte Ausbildung der Instruktoren mit regelmäßiger Weiterbildung steigt das Verletzungsrisiko der Teilnehmer. Erkundigen Sie sich nach der Qualifikation des Trainers. Hat er die Lizenz zum Unterrichten eines bewährten Workouts? Tipps für den Durchblick gibt's auch beim Sportstudio-Verband (040/7662400).

KICKBOX-FITNESS (KBF) ist eine geschützte Marke. Wo KBF angeboten wird, können Sie im Internet unter www.kickboxfitness.de ersehen oder beim deutschen KBF-Repräsentanten Lars Focke (0441/2480887) erfragen.

Neu konzipiert sind die Varianten „Kick-Box-Exercise“/KiBoE (im Internet unter www.kiboe.de), „Fitboxe“ (Infos unter 0911/ 981180) und „Nike Fighting Fit“ (Infos unter 06171/952519).

Die Ausrüstung wird von den Studios gestellt: Bags sowie Bandagen und Boxhandschuhe. Wer sich das für zu Hause anschaffen will, muss investieren: Handschuhe plus Bandagen kosten bis zu 150 Mark und der Bag etwa 700 Mark. Ansonsten reichen normale Sportschuhe und dehnbare, nicht hautenge Kleidung.